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Wachstumswende


Enquetewatch http://enquetewatch.de/wachstum-bleibt-das-mittel-zumindest-der-regierung/

  1. JANUAR 2013 | VON FELIX KERSTING

Wachstum bleibt das Mittel - zumindest der Regierung!

In der 26. Sitzung der Enquete-Kommission wurde der Abschlussbericht der Projektgruppe 1 „Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft“ [1] diskutiert und abgestimmt. Die großen inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Projektgruppe sind klar deutlich: Es liegt sowohl ein Bericht der Regierungskoalition [2] als auch einer der Opposition [3] vor. Die unterschiedlichen Positionen wurden auch in der Sitzung deutlich.

Mit dem Abstimmungsresultat - erwartungsgemäß fand die Regierung für ihren Bericht eine Mehrheit - wird zweierlei klar: Zum einen ist die Enquetekommission entgegen ihres eigentlichen Auftrages im Wahljahr sehr stark von parteipolitischen Überlegungen bestimmt und lässt parteiübergreifende, inhaltlich offene Diskussion vermissen. Zum anderen - noch erschreckender - wird am Ende ein Bericht verabschiedet, der sich in keiner Weise mit den Auswirkungen des Wirtschaftswachstums auf die Umwelt auseinandersetzt, am Status quo festhält und stattdessen lediglich auf eine stückweite Verbesserung der als anpassungsfähig gepriesenen Sozialen Marktwirtschaft vertraut; kurzum ein Bericht, der an der bisherigen Bedeutung des Wirtschaftswachstums in unserer Gesellschaft weitestgehend festhält.

Als Gründe für das „Weiter so“ nennt der Sachverständige Prof. Paqué, dass Wirtschaftswachstum ein sehr probates Mittel für weniger öffentliche Schulden, mehr Beschäftigung und ganz allgemein ein „gutes Leben“ sei. Das Wirtschaftswachstum generiert sich seiner Meinung nach aus Wissen, das sich auf dem Markt rentiert, ist in den Industrieländern fast ausschließlich von qualitativer Art und wird verstanden als „Ausdruck der Entdeckungsfreude und Ergebnis menschlichen Strebens“ (Prof. Carstensen) das nur durch Verbote verhindert werden könne. Gesellschaften ohne Wachstum gebe es zwar, doch wird von Paqué vermutet, dass diese „nicht besonders glücklich“ waren. Offenkundig bleiben die Vertreter_innen der Regierungskoalition, deren Hauptsprecher zwei Professoren der Volkswirtschaftslehre sind, in einer unkritischen Wachstumsgläubigkeit verhaftet. Häufige Vorwürfe gegenüber der Opposition sind Planwirtschaft und Marktpessimismus. Polemisch wertet der FDP Abgeordnete Meierhofer sogar Wachstumsskepsis als ich-fixiertes Luxusproblem gesättigter Deutscher ab.

Resultat ist eine hitzige, jedoch inhaltlich sehr schwache Debatte, die auch von der Opposition nicht herausgerissen wird, auch wenn deren Einschätzungen anders ausfallen. Laut Opposition befindet sich das gegenwärtige Wirtschaftssystem infolge von Wirtschafts- und Umweltkrise sowie zunehmender sozialer Ungleichheit in einer tiefen Krise. Daraus resultiert jedoch lediglich die Forderung nach einer besseren Wirtschaftspolitik bei einem gleichzeitig geringeren Wirtschaftswachstum. Zu dieser gehören die Internalisierung von externen Kosten, eine stärkere Regulierung der Finanzwirtschaft und der Ausbau von grünen Technologien. Zur weiteren gesellschaftlichen Diskussion wird die Etablierung eines Sachverständigenrats für nachhaltige Lebensqualität vorgeschlagen. Unzufrieden zeigten sich verschiedene Vertreter_innen der Opposition mit den bisherigen Überlegungen für konkrete Alternativen zum BIP. Weitergehende Schlüsse, z.B. Gedanken über ein alternatives Wirtschaftssystem, wurden auch von der Opposition nicht gezogen.

Eine Minderheitenmeinung nimmt der Sachverständige Prof. Miegel ein: Er argumentiert gegen die häufige Nutzung des Begriffs „Krise“, da dieser die Hoffnung einer möglichen Rückkehr zu früheren Zuständen nährt. Vielmehr müsse von einem Paradigmenwechsel ausgegangen werden. Scharf wendet er sich außerdem gegen die Idee eines qualitativen Wachstums, was empirisch nicht zu beobachten sei. Beide Berichte sind seiner Meinung nach auf einem Stand von vor zehn bis fünfzehn Jahren. Der ganzen Arbeit der Projektgruppe stellt er ein Armutszeugnis aus.

Am Ende bleibt also das Gefühl, dass diese Projektgruppe weder den Ansprüchen an eine Enquetekommission gerecht geworden ist, noch zu einer zukunftsweisenden Analyse zum Stellenwert von Wachstum in der Gesellschaft beigetragen hat. Da hilft auch nicht die widersprüchlich zum übrigen Inhalt wirkende Feststellung aus dem nun beschlossenen (!) Bericht der Regierungskoalition: „Wachstum und Ressourcenverbrauch müssen absolut entkoppelt werden. Die Grenzen der ökologischen Tragfähigkeit müssen respektiert werden“ (Berichtsentwurf der Koalitionsfraktionen. Projektgruppe 1: Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft (2013), S.6). Wie soll eine absolute Reduktion des Umweltverbrauchs erreicht werden, wenn gleichzeitig Wirtschaftswachstum als alternativlose Problemlösungsstrategie verfolgt wird? Wie muss sich eine Wirtschaft bei einer absoluten Entkopplung organisieren? Wie kann sich eine Gesellschaft bei weniger Wirtschaftswachstum organisieren? Am Ende bleiben nur viele offene Fragen und die Einsicht, dass diese Projektgruppe darauf keine Antworten gefunden hat.

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